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Manchmal begegnen Menschen mit Behinderungen Barrieren, die anderen nicht einmal auffallen. Das zeigt uns Aleksander Pavkovic, mit dem wir heute über Barrierefreiheit sprechen. Pavkovic ist geburtsblind und ist deswegen Experte für dieses Thema. Er arbeitet unter anderem als selbstständiger Übersetzer und Lektor, ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Deutschen Katholischen Blindenwerks und führt außerdem einen Blog. Mehr als einmal fühlte sich unsere Autorin im Laufe des Interviews selbst ertappt. Viele Barrieren fallen einem sehenden Menschen einfach nicht auf, zum Beispiel der Umgang mit Emojis. Pavkovic nahm es nicht übel und konnte herzlich darüber lachen. Für uns ist noch einmal klar geworden, wie wichtig es ist, aufmerksam zu sein und miteinander zu sprechen.

Herr Pavkovic, Was verstehen Sie unter Barrierefreiheit?

Pavkovic: Unter Barrierefreiheit verstehe ich die Zugänglichkeit von Produkten, unter anderem für Menschen mit Behinderungen. Für uns blinde Menschen ist besonders die Barrierefreiheit im Netz wichtig. Das kann zum Beispiel durch Alternativtexte zu Bildern oder die Steuerung über die Tastatur geschehen. Von solchen Websites profitieren sogar alle, zum Beispiel Nutzer mit einer langsamen Internet-Verbindung, die den Inhalt eines noch nicht geladenen Bildes aus dem Alternativ-Text erfahren.

Was macht denn eine barrierefreie Website für Sie aus?

Pavkovic: Eine richtig aufgebaute Seite ist für mich auch schon ein Stück weit eine barrierefreie Seite. Eine korrekte HTML-Struktur hilft dem Nutzer eines Screenreaders bereits sehr viel. Außerdem sind Alternativtexte für Videos und Bilder oder aussagekräftige Link-Titel hilfreich.

Welche Fortschritte wurden bereits gemacht?

Pavkovic: Sehr weit sind wir mit der Barrierefreiheit bereits im öffentlichen Bereich gekommen. Die Einrichtungen und Verwaltungen der Behörden müssen mittlerweile barrierefrei sein. Da gibt es sehr klare Richtlinien und die werden auch gut umgesetzt. Eine weitere hilfreiche Entwicklung ist der Einsatz von CMS. Dadurch bekommen Webseiten automatisch einen gewissen Grad an Barrierefreiheit.

Und wo genau gibt es Ihrer Meinung nach noch Verbesserungsbedarf?

Für mich besteht in der privaten Wirtschaft noch Nachholbedarf. Ein bekanntes deutsches Unternehmen hat zum Beispiel eine neue App entwickelt, bei deren Entwicklung viele Beta-Tester mit Behinderungen beteiligt waren. Es gab einen Fragebogen darüber, was Nutzer mit Behinderungen sich von dieser Applikation wünschen. Als ich die E-Mail mit der Einladung für den Fragebogen bekam, las ich: „Bitte beachten Sie, dass dieser Fragebogen nicht barrierefrei ist.“ Außerdem verbarg sich der Link hinter einer Grafik, die nicht beschriftet war.
Ein ganz alltägliches Beispiel sind Emojis. Wenn jemand eine ganze Geschichte mit Emojis postet, liest der Reader für jedes Zeichen eine Beschreibung. Das wird dann für mich ein Kurzhörbuch und ist wenig praktisch.

Wo liegt für Sie die größte Hürde – nicht nur auf die Technik bezogen, sondern auch im echten Leben?

Pavkovic: Die größte Hürde sehe ich nach wie vor in der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen. Menschen mit Behinderung werden entweder als betreuungsbedürftig und mitleiderregend oder andererseits als Superhelden wahrgenommen. Der blinde Mount-Everest-Besteiger ist ein Beispiel. In den USA gab es eine Umfrage zum Thema Blindheit und das Ergebnis war erschreckend. (Pavkovic wird ironisch) Blinde sind erstens total hilflos, zweitens total unglücklich und drittens kann ich mir auf gar keinen Fall vorstellen, selbst einen Blinden einzustellen. Dann verstehe ich, warum achtzig Prozent der gut ausgebildeten, vollqualifizierten blinden Menschen keinen Job haben.
Natürlich fehlt mir objektiv betrachtet sehr viel. Der Mensch nimmt achtzig Prozent des Wahrgenommenen visuell auf. Aber das heißt nicht, dass ich nur ein zwanzigprozentiges Leben führe. Mein Leben ist bunt, aufregend, spannend und manchmal auch nervig oder stressig – ganz normal also. Das sind meine hundert Prozent!

Bunt, aufregend, spannend und manchmal auch nervig oder stressig. Besser können wir ein ganz normales Leben auch nicht beschreiben.

Du möchtest deine Seite auch barrierefrei machen? Hier geht’s zur Checkliste.

BONUS:

Aleksander Pavcovic hat uns noch einen interessanten Fakt verraten: Wusstet ihr, dass auch blinde Menschen ein aktives Sehzentrum im Gehirn haben? Es wurde festgestellt, dass bei geburtsblinden Menschen das Sehzentrum aktiv wird, wenn sie mit den Fingern Braille-Schrift lesen oder sich räumlich orientieren.

Quelle: Interview mit Aleksander Pavkovic