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Überschrittene Feinstaubwerte, Lärmbelästigung, Verkehrschaos, Platzmangel, Gentrifizierung und viel zu hohe Mieten. Es gibt viele Gründe sich gegen das Leben in einer der 79 Großstädten Deutschlands zu entscheiden. Dennoch zieht es immer mehr Menschen in die Stadt. Doch die Lösung scheint schon längst gefunden: die Digitalisierung. Diese ist in der politischen Debatte mit flächendeckendem Internet und Glasfaserleitungen gleichgesetzt, aber wir denken heute nicht in kleinen Schritten. Ecce – Die Smarte City, die Hybris der Digitalisierung. Smart-City-Projekte erfreuen sich in städtischen Marketingkampagnen großer Beliebtheit. Sie werden für die Lösung vieler Probleme gehalten und kosten Unmengen an Steuergeldern. Sind diese aber tatsächlich die Lösung für die Probleme unserer Zeit? Vielleicht ist es doch smarter in kleineren Schritten zu denken und da anzusetzen, wo Steuergelder eher gebraucht werden.

Skandinavien ist Vorreiter

Smart-City-Projekte sind der avantgardistische Versuch, die Lebensqualität in der Stadt mithilfe von effektiver Stadtplanung und Nachhaltigkeit zu steigern. Dabei wird auf innovative Städteplanung und Technologie gesetzt. Das Vorzeigeprojekt hierfür steht in Helsinki: Vor zehn Jahren war dort, wo jetzt Europas innovativster Stadtteil steht, nur Brachland. Heute fahren autonome Busse durch die wenigen Straßen Kalasatamas. Wenige Straßen, weil Autos hier nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Helsinki will bis 2025 autofrei sein, selbst Müllwägen fahren auf den Straßen des Stadtteils nicht mehr. Ganz Kalasatama ist mit Luftdruckröhren untertunnelt. Diese befördern den Müll direkt in Sammelstationen außerhalb der Stadt.

Jedes Gebäude ist zudem mit smarten Zählern ausgestattet. Diese erlauben nicht nur das Abrufen des aktuellen Wasser- und Stromverbrauches per App, sondern machen das gesamte Stromnetz smart. Stromverbrauch und Netzauslastung können so prognostiziert und angepasst werden, dass auch die Speicherung von erneuerbaren Energien leichter fällt. Jeder Einwohner kann seine Haushaltsgeräte und Heizanlagen per App mobil steuern. Insgesamt eine Stunde Ersparnis pro Tag gewinnt ein Bewohner durch die smarte Infrastruktur, verspricht die Broschüre.

Alles was die Bewohner zum Leben brauchen befindet sich in Gehweite und sind diese mal zu faul zum Laufen, gibt es unzählige Fahrradstationen oder selbstfahrende Busse. Fünf Milliarden Euro hat das Projekt gekostet.

Ein teurer Spaß, angesichts von nur 25 000 Einwohnern, die hier leben werden. Allen Städten dann im Ganzen so ein Upgrade zu verpassen ist nicht möglich. Das Smart-Machen einzelner Stadtgebiete in Städten, die es sich leisten können, ist reines Prestige und bringt uns nicht weiter.

Je länger wir warten, desto mehr wird’s kosten

Es ist wichtig, dass unsere Städte grüner werden. Schon jetzt leben 75 Prozent der Deutschen in Städten oder Ballungsräumen und diese Zahl steigt kontinuierlich. Wenn wir bis 2050 CO2-neutral sein wollen, müssen wir in unseren Städten damit anfangen und das ziemlich bald. Denn die Klimawende ist eine Herausforderung, die viel kosten wird.

Über die Phase, in der wir den Klimawandel in Frage stellen, sollten wir schon seit Jahrzenten hinweg sein. Klimaleugner sind in eine Schublade mit Flat-Earthern und Holocaustleugnern zu stecken. Bitte lasst uns diese Schublade schließen und handeln. Je früher wir damit anfangen, in Nachhaltigkeit zu investieren, desto größer ist der Zeitraum, auf den sich die Kosten verteilen. Die Konsequenz aus der bisherigen Politik: die Kosten werden höher und die, die sie zu tragen haben, werden weniger.

Smarte Investitionen: die richtigen Prioritäten setzen

Auch deutsche Städte brüsten sich bereits mit Smart-City-Projekten. München will im Stadtgebiet Neuaubing-Westkreuz / Freiham Helsinki gleichtun und wurde von der EU dazu gefördert. Lohnen sich die hohen Investitionen in Smart-City-Projekte? Smart Cities dürfen nicht teure städtische Marketing-Projekte für Green- und Digitalwashing bleiben. Roboterbusse und die mit Bewegungsmeldern versehene Straßenbeleuchtung reichen nicht aus, um unser Problem zu lösen und das Geld wäre sicherlich woanders smarter investiert.

Smart wäre: Der Kohleausstieg bis 2030 und den öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und kostenlos anzubieten. Smart wäre es auch, den Experten, den Wissenschaftlern, endlich zuzuhören und das Klimapaket anzupassen. Bevor wir anfangen smarte Städte zu bauen, sollten wir anfangen smarte Politik zu machen. Auch wenn es cool wäre schon heute in der Zukunft zu leben, empfiehlt es sich an dieser Stelle geduldig zu bleiben. Kommen wir erstmal mit den Fehlern der Vergangenheit und den Problemen der Gegenwart klar.