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Luise Ortloff und Katharina Winkler haben als wissenschaftliche Referentinnen der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) in den vergangenen Jahren den sogenannten Human-Resources-Kreis koordiniert. Der Expertenkreis, dem Personalvorstände führender Technologie- und Dienstleistungsunternehmen sowie Forschende angehören, sieht sich als Think Tank zur Debatte rund um die Zukunft der Arbeit.

Im Sommer 2022 haben Luise Ortloff und Katharina Winkler im Rahmen des HR-Kreis-Projekts die virtuelle Debattenreihe „Fit for Future Work“ mitinitiiert, die mittlerweile auf sechs Ausgaben zurückblicken kann. Patrick Genitheim und Peter Paulini, Studierende des Masterstudiengangs Forschungs-, Innovations- und Technologiekommunikation (FIT), haben die beiden zu den Zwischenergebnissen der Reihe befragt und sie darum gebeten, aktuelle Trends im Bereich Human Resources einzuordnen.

In der gegenwärtigen HR-Debatte fallen oft die Begriffe Up- und Reskilling. Wieso ist dieses Thema so präsent?

Luise Ortloff: Diese Begriffe sind nicht neu. Tätigkeiten und Berufsbilder haben sich immer verändert, genauso wie es eine Grundausbildung sowie Weiterbildung gibt. Was nun besonders ist, ist der Druck und die Geschwindigkeit, mit der diese Änderungen passieren. Wir nennen das „Compressed Transformation“, also viele Entwicklungen, die gleichzeitig stattfinden. Vor allem Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie, aber auch ökonomische und ökologische Veränderungen, sowie Klimawandel und andere Themen treiben uns an. Auch der Druck, sich unternehmensseitig zu verändern und sich zeitgemäß aufzustellen, ist höher als sonst. Wir wissen auch, dass sich Jobs durch Digitalisierung und Automatisierung verändern, oder teilweise neu entstehen. Das führt dazu, dass sich die Beschäftigen mit ihrem Wissen und Fähigkeiten nicht auf ihrem einmal erlangten Wissensstand ausruhen können, sondern sich durch lebensbegleitendes Lernen ständig weiterentwickeln und anpassen müssen, um sich für die Zukunft aufzustellen. Selbst wenn genug Umsatz und Gewinne erwirtschaftet werden, heißt das nicht, dass Unternehmen von diesem Weiterentwicklungsdruck befreit werden.

In dieser Entwicklung stellen Sie den Arbeitnehmer in den Mittelpunkt. Wieso nicht andere Faktoren wie Produktionsstandort oder Wettbewerbsvorteil?

Ortloff: Heute haben wir keinen Arbeitgebermarkt, sondern einen Arbeitnehmermarkt. Arbeitnehmer:innen können sich fast aussuchen, zu welchem Arbeitgeber sie gehen. Eine gewisse Qualifizierung vorausgesetzt. Das bedeutet, der Erfolg eines Unternehmens ist stark davon abhängig, wie es personell aufgestellt ist. Es können die besten Strategien oder Produkte vorliegen, wenn das Personal dazu fehlt, diese Strategien zum Leben zu erwecken, dann kann man das Geschäftsmodell nicht durchsetzen. In unserer Debatte steht der Mensch im Fokus. Wir fassen Re- und Upskilling nicht nur als Vorteil für die Unternehmen auf, sondern auch für den Menschen und seine Bildungsbiografie. Der Anspruch für Unternehmen ist, ihre Arbeitnehmer:innen zu halten.

Was wir in diesem Zusammenhang problematisch finden, sind Aussagen wie: „Wir müssen den Mitarbeitenden mitnehmen“. Das suggeriert, dass die Technik vorhanden ist und der Mensch nachziehen muss, um Schritt zu halten. Dadurch bekommen Mitarbeiter:innen Angst vor Jobverlust und fühlen sich nicht mitgenommen. Erfahrungen zeigen aber, dass die Arbeit nicht ausgeht, sondern sich wandeln wird. Die Digitalisierung ermöglicht und treibt insofern diese Entwicklung.

Die Weiterentwicklung wird oft durch Budgetkürzungen verlangsamt. Wird im Weiterbildungsbereich zu viel gespart?

Winkler: Hier muss man sehr auf die einzelnen Unternehmen eingehen. In großen Unternehmen beispielsweise ist Weiterbildung ein unumstößlicher Teil und wird nicht mehr in Frage gestellt. Schwieriger wird es im Bereich der KMUs, da hier teilweise die Kapazitäten und Ressourcen für professionelle und durchgehende Weiterbildung nicht in dem Maße vorhanden sind. Hier kommen diverse Einrichtungen oder Weiterbildungsverbände ins Spiel. Generell aber sind sowohl Ausgaben als auch Teilnahmequoten an Weiterbildungsmaßnahmen konstant sehr hoch, sodass man von einer “Weiterbildungsrepublik Deutschland” sprechen kann. Daher ist es kontraproduktiv, zuerst bei der Weiterbildung der Beschäftigten zu sparen.

Das Problem ist also nicht, einen Bedarf an Weiterbildung zu erkennen, sondern es müssen auch die Ressourcen dafür vorhanden sein?

Ortloff: Ja. Und eine weitere Herausforderung ist es zu wissen, wofür man qualifizieren muss. Also welche Kompetenzen weiterentwickelt werden sollen. Darauf haben teilweise auch große Unternehmen keine Antwort. Diese Frage können auch wir hier nicht beantworten, weil es nicht absehbar ist, welche Qualifikation beispielsweise in zehn Jahren essenziell sein wird. Selbst wenn eine Qualifikation aktuell stark nachgefragt ist, kann niemand sagen, ob das in zehn Jahren noch so sein wird. Es ist schwierig, eine Weiterbildung in Echtzeit anzubieten, also parallel zum Erkennen von Bedarfen die Weiterbildung zu organisieren.

Sollte das Thema Up- und Reskilling bereits frühzeitig gefördert werden?

Winkler: Lebenslanges Lernen muss frühzeitig beginnen und dauerhaft, also über die gesamte Bildungs- und Erwerbsbiografie hinweg, gefördert werden. Gerade im Kindesalter sollte die Begeisterung für Lernen gefördert werden. Auch in der Schule und in der Uni sollte klar gemacht werden, dass Lernen niemals aufhört. Auch wenn wir beispielsweise YouTube-Tutorials sehen, lernen wir Neues hinzu.

Geht der Trend in Richtung Onlineschulungen oder in Richtung Präsenz?

Winkler: Durch die Pandemie ist das Lernen stark digitalisiert worden. Die zukünftige Arbeitswelt wird hybrid sein, ebenso die Weiterbildungen. So gibt es beispielsweise schon ausreichend “Blended-Learning”-Angebote, die sowohl Online- wie Offlineinhalte bieten.

Ortloff: Der Trend geht in Richtung “Learning on the Job” und “Learning on Demand”. Lernen und Arbeiten findet nicht getrennt voneinander statt, die beiden Bereiche verschmelzen im besten Fall. Nicht nur im Arbeitsalltag lernen, sondern auch selbstständig Inhalte “on Demand” erarbeiten. Die Frage wird sein, wie man in Zukunft Lerninhalte akkreditieren kann. Für Wissen aus Tutorials oder Lerngruppen gibt es oft keine Zertifikate, es ist jedoch genauso vorhanden.

Sie prognostizieren also, dass es in Zukunft weiterhin Präsenzangebote für Weiterbildungen geben wird?

Ortloff: Davon gehen wir aus. Gerade bei der Diskussion um Büros haben wir gemerkt, dass wir sie als Ort zum Netzwerken, zum Austausch, für Kreativität und Kooperation brauchen. Gerade beim Lernen profitieren wir im direkten Austausch voneinander. Lernen wird in Zukunft nicht mehr ein “Silolernen” sein, sondern im Austausch miteinander und voneinander stattfinden.

Winkler: Gerade im Bereich Soft Skills macht ein gemeinsames Lernen in Präsenz viel Sinn, gegenseitiges Feedback ist deutlich effektiver. Man kann ein Leadership Training auch virtuell durchführen, aber gerade in solchen Bereichen ist es wichtig, persönlich zusammenzukommen.

Wie sehen Sie die Berufschancen für Quereinsteiger auf dem Arbeitsmarkt?

Winkler: Wir verpacken Quereinstieg mehr unter dem Mantel Reskilling/Upskilling. Es gibt immer noch Unternehmen, die auch langjährige Mitarbeitende haben. Umstiege zwischen verschiedenen Unternehmen und auch Branchen sind heute aber üblich. Das wird sich auch nicht zurück wandeln.

Werden aus Ihrer Sicht Softskills relevanter für Quereinstiegs- oder Upskilling- und Reskillingmaßnahmen?

Ortloff: Diese Maßnahmen haben eine große und weiter steigende Relevanz. Es gibt Unternehmen, die sich inzwischen mehr für Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen interessieren. Eine Mindestqualifizierung ist trotzdem Voraussetzung. Wichtiger aber ist: Passt die Person in unser Unternehmen und zu unserer Kultur? Interkulturelle Kompetenz, Teamarbeit, Sozialkompetenz, Zeitmanagement und Projektmanagement sind inzwischen sehr wichtig geworden.

Sollten Firmen für nichtlineare Lebensläufe offener sein?

Ortloff: Das ist ein Trend, der klar erkennbar ist. Arbeitnehmer:innen wollen auch in verschiedenen Bereichen Erfahrungen sammeln. Das ist inzwischen sehr akzeptiert als Berufs- und auch Karrieremodell. Ich denke aber nicht, dass es zur klassischen linearen Karriere schon gleichwertig ist.

Wenn diese Karriereleiter nicht mehr der rote Faden sein muss, was könnte ein geeigneter roter Faden sein?

Winkler: Ein roter Faden könnte die Bereitschaft, lebenslang zu lernen, sein. Wenn ich zeigen kann: Ich entwickle mich weiter und bilde mich fort. Auch das ist Kontinuität, die sehr wichtig und auch sehr wertvoll ist.

 

Autoren:

Das Interview führten Patrick Genitheim und Peter Paulini, Studierende des Masterstudiengangs Forschungs-, Innovations- und Technologiekommunikation (FIT) im Kurs “Technikjournalismus” unter der Leitung von Tm Frohwein.

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