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Am Ende jedes Semesters gebe ich meinen Studierenden der Technischen Redaktion und Kommunikation an der Hochschule München Lektüretipps für die Semesterferien. In jeder Lehrveranstaltung stelle ich ein Buch oder einen Film vor, die einen Bezug zur jeweiligen Veranstaltung haben. Keine Lehrbücher, sondern Bücher, Filme oder Podcasts, die inspirieren und auch mal provozieren. Vor allem aber sollen sie Spaß und neugierig machen.

In diesem Semester sind dies:

  • Fire, Ice and Physics von Rebecca C. Thompson
  • The Culture Map von Erin Meyer
  • Und Quality Land von Marc Uwe Kling

Eines der Bücher werde ich verlosen. Wie Sie an der Verlosung teilnehmen, verrate ich am Ende meiner Empfehlung.

Meine Empfehlungen als Video

 

„Winter is Coming“, so viel ist sicher

Der Winter kommt. Gerade zu Beginn der Sommerferien ist das sicher: Die einen sehnen sich im sprichwörtlichen deutschen Sommer bei „gnadenloser“ Hitze von 23 Grad nach Abkühlung; die anderen sehen am Horizont schon die Weihnachtszeit nahen. In Rebecca C. Thompsons Lesart wird aus dem Losungswort aus George R.R. Martins Song of Ice and Fire: „Winter ist coming – or is it?”

Schon dafür hätte ich das Buch gelesen. Thompson nimmt darin die fiktiven Wissenschaften des Romans unter die Lupe: Sie untersucht die merkwürdigen Klimaphänomene in Westeros und vergleicht Drachen mit Fledermäusen und valyrischen Stahl mit damaszener Klingen und Stahl aus Pittsburgh. Sie fragt, welche Physik – oder Chemie, oder Biologie – steht eigentlich hinter diesen Phänomenen? Welche Naturgesetze müssten gelten, wenn wir diese Phänomene in unserer Welt beobachten könnten?

Thompson stellt das Selbstverständliche in Frage und hält das Unwahrscheinliche für möglich, wenn auch nur für kurz. Aber immerhin lang genug, um es einer eingehenden naturwissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen. Dabei schreibt sie unterhaltsam und humorvoll und nimmt Leserinnen und Leser mit in naturwissenschaftliche Gebiete, in die sie sich vielleicht seit der Schulzeit nicht verlaufen haben.

Eine empfehlenswerte Lektüre nicht nur für Leser von G.R.R. Martin und Fans von Game of Thrones. Für Studierende der Technischen Redaktion und Kommunikation ein Beispiel für gelungene Wissenschaftskommunikation und eine schöne Ergänzung auch zum Modul „Naturwissenschaftliche Grundlagen“.

Tipp für Angehörige der Hochschule München: Die deutsche Übersetzung des Buches ist über die Hochschulbibliothek oder den Springerlink als E-Book erhältlich.

Auf einen Blick:

  • Lektüretipp: Rebecca C. Thomposon: Fire, Ice, and Physics. The Science of Game of Thrones. MIT Press 2019.
  • Emfpehlung für: Einführung in die Technikkommunikation (Vorlesung im 1. Semester)

Orientierung auf unsicherem Terrain: Tools allein machen keine interkulturellen Teams

Karten versprechen Orientierung. Sie helfen, sich auf unbekanntem Gebiet zurechtzufinden, einen Weg zu identifizieren und seine Ziele zu erreichen. Nicht immer ohne Umwege, natürlich.

Erin Meyer verspricht in ihrem Buch nichts weniger als das: Orientierung zu bieten in interkulturellen Begegnungen, bei Treffen auf unbekanntem Terrain. Statt einem Koordinatensystem mit zwei Dimensionen entwickelt sie ein System aus acht Aspekten mit jeweils zwei entgegengesetzten Ausprägungen:

  • Kommunikation, die mehr oder weniger Kontextwissen erfordert
  • Feedback, das mehr oder weniger direkt gegeben wird
  • Überzeugungstechniken, die entweder von der Theorie oder vom Beispiel ausgehen
  • Führungsstile, die egalitär oder hierarchisch sein können
  • Entscheidungen, die eher im Konsens oder durch einzelne „Entscheider“ getroffen werden
  • Vertrauen auf der Basis von Aufgaben oder von Beziehungen
  • Widerspruch, der konfrontativ formuliert oder wenn möglich vermieden wird
  • Zeitempfinden, das entweder linear an der Uhrzeit orientiert oder eher flexibel ist.

Meyers Stärke sind weniger die wissenschaftlich saubere Herleitung und der Beleg ihrer Einordnungen. Ihre Kategorisierungen fallen zum Teil recht holzschnitthaft aus und reizen zum Widerspruch. Ihre Stärke sind Schilderungen von Situationen und Anekdoten aus ihrer Beratungs- und Trainingspraxis. In ihnen werden die acht Aspekte in Beruf und Alltag deutlich. Oft komisch, gelegentlich peinlich, manchmal dramatisch, aber immer so, dass wohl jede Leserin und jeder Leser, eigene Erlebnisse und Erfahrungen assoziiert.

So regt das Buch vor allem dazu an, die eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten zu reflektieren und zu relativieren.

Meine Empfehlung für die Lehrredaktion in diesem Semester ist das Buch, weil wir die Redaktion zum ersten Mal „transatlantisch“ mit Studierenden aus München und aus Syracuse, NY betrieben haben. Mit viel Spaß und tollen Artikeln und Illustrationen. Dabei hatte ich selbst über lange Zeit den Eindruck, dass es kaum echte Unterschiede zwischen den Studierenden und Dozentinnen aus München und Syracuse gibt. Ein Irrtum.

Auf einen Blick:

  • Lektüretipp: Erin Meyer: The Culture Map. Decoding how people think, lead, and get things done across cultures. New York: Public Affairs 2014.
  • Empfehlung für: Blogredaktion www.techtalkers.hm.edu (Wahlpflichtfach im 6. Semester)

In Quality Land ist alles OK

Quality Land ist eine satirische Dystopie, die rasant und anspielungsreich durch ein digital optimiertes Land führt, in dem das immerwährende Versprechen von Qualität* dazu führt, dass es auf alle Fragen nur eine Antwort gibt. Nein, sie lautet nicht „42“. Sie lautet: „OK“.

Durch diese Welt stolpert Peter Arbeitsloser – man trägt hier im Nachnamen den Beruf des geschlechtsäquivalenten Erzeugers zum Zeitpunkt der Empfängnis – in seinem Kampf um Anerkennung eines Fehlers im Algorithmus.

Die Analogie zu Kleists Michael Kohlhaas drängt sich auf und Kling schreckt keine Sekunde davor zurück. So wenig wie vor dem Zitat diverser anderer tragischer Helden und großer Motive der Weltliteratur bis hin zur Muse der epischen Dichtung und der Wissenschaft selbst (in Gestalt eines ausrangierten Autor-Androiden mit Schreibhemmung). Das ist unterhaltsam und mitreißend komisch, selbst wenn gelegentlich das Lachen im Halse stecken bleiben will. Dabei scheint Quality Land insgesamt nicht mehr wirklich weit entfernt zu sein. Umso drängender stellt sich beim Lesen die Frage, ob wir in diesem Land wirklich leben wollen? Und falls nicht, wie dann?

So liest sich das Roman nahezu als Narrativ zu den Zukunftsszenarien im Zeitalter der Digitalisierung, mit denen wir uns in diesem Semester in Projekt IV befassten: Welche Werte sind uns wichtig? Welche Werte glauben wir, sind den anderen wichtig? Wie wollen wir leben? Wie glauben wir, dass wir wahrscheinlich leben werden? Und wie schaffen wir es, dass das Nachdenken über und die Teilhabe an der Gestaltung unserer Zukunft ein Thema für alle wird – nicht nur führ kleine Gruppen der einen oder anderen Blase?

* Ich habe die ganze Zeit noch auf „Mehrwert“ oder „Nachhaltigkeit“ gewartet. Kamen aber beide nicht vor.

Auf einen Blick:

  • Lektüretipp: Marc Uwe Kling: Quality Land. 2. Auflage Berlin: Ullstein 2020.
  • Empfehlung für:  Ein Konzept für eine Kampagne im Rahmen des Wissenschaftsjahrs 2022 (Projekt IV im 6. Semester)

Verlosung: “Quality Land” gegen neue Lektüre-Vorschläge

Gelesen habe ich Quality Land in der dunklen Variante. Verlosen möchte ich hier die helle Variante des Buches: Schicken Sie mir Lektürevorschläge für das kommende Semester. Die Bedingung: Es muss ein Bezug zu Technik und / oder Wissenschaft erkennbar enthalten sein und es darf sich nicht um ein Lehrbuch oder ein echtes Fachbuch handeln.

Das Buch wird unter allen Einsendungen verlost, die diese Bedingungen erfüllen – unabhängig davon, ob ich der Empfehlung folge oder nicht.

Vorschläge bitte per E-Mail oder hier im Kommentar.

Einsendeschluss: 30. November 2021

Und natürlich habe ich das Buch, das ich verlose, selbst gekauft und bezahlt.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen, erholsamen Sommer mit viel Zeit zum Lesen und Genießen – und dass wir uns alle im kommenden Semester wieder in echt begegnen!

Anke van Kempen

 

PS: Für alle, die mehr wollen, meine Tipps aus dem letzten Semester für die Frühlingsferien 2021