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Dr.José María Díaz Nafría, Ingenieur  für Nachrichtentechnik und Philosoph, an der Offenen Universität Madrid forscht, wie das Internet besser reguliert werden kann. Basierend auf Erkenntnissen der Systemtheorie und Netzwerktheorie rät er zu einem Schichtenmodell im Web. Seiner Meinung nach hat das Netz ein strukturelles Problem. Im Gespräch mit Techtalkers-Redakteur Konstantin Litera sprach er über die systemischen Probleme des Internets, unter denen insbesondere Entwicklungsländer zu leiden haben.

Ihre Forschung basiert stark auf der Systemtheorie. Können Sie die Theorie für unsere Leserinnen und Lesern kurz zusammenfassen?

Díaz Nafría: Ziel der Systemtheorie ist es, essenzielle Merkmale unserer komplexen Realität abzubilden und zu beobachten wie diese Merkmale untereinander agieren. Dabei werden die Relationen dieser Merkmale, auch Akteure genannt, sowie deren wechselseitige Dynamik untersucht. Die dabei, durch Nachmodellierung und Simulation gewonnen Erkenntnisse können anschließend auf die vielfältigsten Probleme mithilfe der Netzwerktheorie übertragen werden.

Können Sie diese Vorgehensweise anhand eines Beispiels beschrieben?

JMDN: Nehmen wir das neuronale Nervensystem des Menschen, es agiert in verschiedenen hierarchisch gegliederten Schichten. Möchten Sie beispielsweise einen Gegenstand vom Boden aufheben, denken Sie nicht über jede einzelne Bewegung Ihrer Muskeln nach. Das passiert auf einer anderen neuronalen Ebene. Es besteht ein Filtermechanismus der nur relevanten Reize auf die nächsthöhere Ebene durchlässt. Ist besagter Gegenstand scharfkantig und sie schneiden sich, wird automataisch das Schmerzzentrum informiert. Gleichzeitig werden aber auch an andere Körperregionen Informationen weitergeleitet, die dafür Sorge tragen, dass wir diese Bewegung in Zukunft unterlassen.

Und wie übertragen Sie diese Betrachtungsweise auf strukturellen Defizite im Internets?

JMDN: Aktuell werden große Datenmengen in Clouds gespeichert und nur unter kommerziellen Gesichtspunkten (Stichwort Affiliate-Marketing) ausgewertet. Diese Daten gehören aber der Allgemeinheit und könnten wichtige Erkenntnisse zum Klimawandel oder anderen sozialen Dilemma. Jedoch wird durch diese strukturellen Prozesse, innerhalb der Clouds, ein sinnvolles Auswerten der Daten im Sinne der Allgemeinheit unmöglich.

Wie verfahren die Cloudbetreiber mit den Daten?

Cloudbetreiber versuchen so viele Daten wie möglich abzugreifen, um diese finanziell auszuwerten zu verwerten. Das bedeutet, dass alle unsere Daten an zentralisierten Stellen zusammenlaufen und nur gesammelt werden um Profit zu generieren. Allerdings wird es durch diese Zentralisierung unmöglich die Daten auf eine, für das Allgemeinwohl zuträgliche Art und Weise, auszuwerten. Im Sinne der Systemtheorie wäre es sinnvoll die Daten dezentral an den bestmöglichen (d.h. nahegelegensten Stellen) zu verarbeiten. Aktuell entstehen zuviele zentralgespeicherte Daten. Man könnte daher sagen, dass das Internet ein strukturelles Problem hat.

Und hier würde das Schichtenmodell greifen um die Defizite zu beheben?

JMDN: Ganz genau. Im Schichtenmodell kommen die Daten auf der untersten Ebene an und man versucht sie dort auszuwerten. Ist das nicht möglich, greift der Filtermechanismus und leitet die Daten an die nächsthöhere Ebene weiter. Das reduziert die Komplexität erheblich.

Ist es nicht sehr aufwendig dieses Vorgehen praktisch umzusetzen?

JMDN: Diese Vorgehensweise wurde bereits 1971 in Chile im Zuge des Cybersyn Projekt angewendet. Damals wurde, basierend auf den Erkenntnissen des Kybernetikers Stafford Beers, mit einfachsten Mitteln die Wirtschaft erfolgreich gesteuert. Dabei wurden die Kennzahlen aus verschiedenen Wirtschaftszweigen an ein Kontrollzentrum gesendet und zuerst auf unterster Ebene bearbeitet. Erst wenn diese Ebene innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens keine Resultate lieferte, wurden die Daten an die nächsthöhere Stelle geleitet. So konnten beispielsweise Lieferengpässe frühzeitig erkannt werden. Mit heutigen Technologien, wie etwa künstlichen Intelligenzen, sind diese Ideen leicht umzusetzen.

Stichwort Südamerika. Sie forschen ebenfalls daran, wie mithilfe der Netzwerktheorie Missstände in Entwicklungsländer gelöst werden können. Wie lassen sich hier ihre Erkenntnisse einbringen?

JMDN: Momentan wird sämtlicher Internet-Traffic dieser Staaten, durch nordamerikanische oder europäische Datenzentren geleitet und auch dort erfasst. Regional gesehen sind diese Länder untereinander jedoch kaum vernetzt. Obwohl es auch dort Hochleistungsrechner gibt, die mit den anfallenden Datenmengen umgehen könnten. Durch gegenseitige Vernetzung würden viele Probleme in diesen Ländern gelöst werden.  Als Analogie möchte ich wieder den menschlichen Körper heranziehen. So wie aktuell Big-Data verarbeitet wird, ensteht im Internet ein stetig expandierender Wasserkopf. Dieser jedoch könnte vermieden werden durch eine vernüftigere Datenspeicherung in anderen, bessergeieigneten Körperregionen

Inwiefern würde sich die gegenseitige Vernetzung positiv auf diese Nationen auswirken?

JMDN: Durch die fehlende Vernetzung untereinander, findet zu wenig interkultureller Austausch statt. Diese Länder kämpfen alle mit ähnlichen Problemen wie z.B. dem Klimawandel oder sozialer Ungerechtigkeit. Stattdessen werden relevante Daten in weit entlegenen Datenservern gespeichert, an denen häufig der lokale Bezug für die jeweilige Problematik fehlt. Durch eine bessere Vernetzung und einer gemeinsamen Datenauswertung könnte auch an gemeinsamen Lösungen geforscht werden – was natürlch diebilateralen Beziehungen stärken würden. Geeignete Lösungsansätze in diesem Zusammenhang sind Rekontextualisierung und Dezentralisierung der Datenauswertung.

Konstantin Litera sprach mit José María Díaz Nafría über Big Data-Auswertung, sowie digitale Missstände in Entwicklungsländern. Seiner Meinung nach ist die Lösung vieler digitaler Probleme ein Schichtenmodell im Internet,und die bessere digitale Vernetzung von Entwicklungsländern untereinander.

 

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