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Tim Frohwein ist Wissenschaftskommunikator, Soziologe und Fußballjournalist. Zudem leitet er das Projekt „Mikrokosmos Amateurfußball“ der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Techtalkers-Redakteurin Juliana Diener hat mit ihm über den aktuellen Stand der Digitalisierung in Amateurfußballvereinen.

 

Diener: Herr Frohwein, der Profifußball ist bekanntlich von A bis Z durchdigitalisiert. Wie sieht es da im Amateurbereich aus?

Frohwein: Zunächst muss man den Amateurfußball abgrenzen. Die 4. und 5. Liga gehört offiziell auch zum Amateurbereich, aber dort herrschen häufig bereits sehr professionelle Strukturen. Das betrifft auch die Digitalisierung, die dort teilweise durchaus Dimensionen wie im Profibereich annimmt. Je niedriger die Liga, desto unprofessioneller und „undigitalisierter“ wird es.

 

Wie ist zum Beispiel ein Verein aus dem Nachbardorf, der in der Kreisliga spielt, digitalisiert? Welchen Zweck erfüllt dort die Digitalisierung?

Die Digitalisierung erhält in etwa in dem Maße, in dem sie die Gesellschaft durchdringt, auch Einzug in die Vereine. Die Mitglieder tragen Wissen von außen, zum Beispiel aus Beruf und Alltag, in den Verein hinein. Neben den Standards wie WhatsApp-Gruppen, die ja auch im Alltag selbstverständlich sind, nutzen Vereinsverantwortliche in unteren Ligen Apps zum Teammanagement. Eine von mir betreute Umfrage von Studierenden der Hochschule München hat gezeigt, dass rund 80 Prozent der über 100 befragten Amateurfußballvereine diese nutzen. Die Spieler und Trainer können in solchen Apps Trainings organisieren, Treffpunkte vereinbaren und Informationen teilen.

Darüber hinaus nutzen heute fast alle Vereine Social-Media-Kanäle. Ein Social-Media-Auftritt ist sinnvoll, um sich Bekanntheit zu verschaffen, Netzwerke zu bilden und neue Spieler und Sponsoren zu rekrutieren. Die Funktion, die Social Media in anderen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen haben, wird also auch im Amateurfußball genutzt. Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung im Amateurfußball sind sogenannte „Wearables“, also digitale Technologien, die zur Messung von Vitalfunktionen und der Leistungsfähigkeit der Spielerinnen und Spieler genutzt werden. Das ist dann zum Beispiel ein Tracking-System, das anzeigt, wie viele Kilometer der Verteidiger während eines Spiels gelaufen ist.

 

Wie sieht es mit der Durchführung von Videoanalysen aus?

Auch Videoanalysen haben Einzug in die unteren Ligen erhalten. Mittlerweile kann man kostengünstig Kameras am Spielfeldrand aufstellen. Diese werden von einer künstlichen Intelligenz gesteuert und verfolgen automatisch das Spielgeschehen. Da muss der Verein nur einmal investieren und kann dann jedes Spiel aufnehmen und analysieren.

 

Wie finanzieren die Vereine diese Digitalisierung?

All diese Möglichkeiten entstehen dadurch, dass die Kosten für die Technologien mit der Zeit immer günstiger wurden und somit auch für Amateurvereine bezahlbar sind. Das gilt natürlich nicht für jeden Verein. Teilweise unterstützen auch die Fußballverbände die Digitalisierung.

 

Gibt es auch negative Auswirkungen der Digitalisierung im Amateurfußball?

Ich finde, man sollte neue Technologien generell immer auch kritisch hinterfragen, nicht nur im Fußball.

Ein Beispiel: Angenommen, die Livestreams von Amateurspielen würden so beliebt werden, dass niemand mehr zum Fußballplatz kommt. Die gesamte Atmosphäre, das Gemeinschaftsgefühl, und die – manchmal übertriebene – Emotionalität gingen komplett verloren. Davon lebt der Fußball aber. Das gilt auch, wenn man Mannschaftsbesprechungen durch Zoom-Meetings ersetzen würde, da gingen die real-sozialen Interaktionen verloren. Auch die totale Vermessung von Fußballerinnen und Fußballern – Stichwort: „Gläserner Amateur“ – sehe ich kritisch. Im Profibereich ist sie schon Realität.

 

Verliert der Amateurfußball nicht seinen Charme, wenn es durch Tracking nur noch auf Zahlen und Fakten ankommt?

Ja, definitiv. Der eigentlich geschätzte Zehner mit der kleinen Wampe, der gut spielt, aber etwas lauffaul ist, kommt beim Tracking nicht gut weg. Wenn der Trainer ihn auf Grundlage dieser Daten dann beim nächsten Spiel nicht mehr aufstellen würde, dann wäre das eine sehr traurige Entwicklung. Denn es geht bei den Amateuren nicht immer um die Optimierung von Leistung, sondern vor allem um Spaß am Sport und natürlich um den sozialen Aspekt!

 

Herzlichen Dank für Ihre Zeit, Herr Frohwein!

 

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