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Aufgrund der Corona-Pandemie mussten deutsche Schulen und Universitäten im Dezember 2020 erneut schließen. Das betrifft vor allem Schulkinder, Auszubildende und Studierende. Sie müssen von heute auf morgen über Fernunterricht lernen und Prüfungen schreiben. Lehrer, Dozenten und Professoren müssen ihren Unterricht nun so gestalten, dass er auch über die Distanz alle Lernenden fordert und fördert. Es stellen sich die Fragen: Wodurch unterscheiden sich Homeschooling vom Präsenzunterricht und welche Auswirkungen hat der Distanzunterricht auf die Bildungsgerechtigkeit? Gibt es Unterschiede zwischen Großstädten und ländlicheren Umgebungen im Hinblick auf Ausstattung der Schulen und Lernenden? Gymnasiallehrerin Sylvia Schraml unterrichtet im Landkreis München die Fächer Englisch, Geschichte und Sozialkunde und übernimmt die Rolle der Oberstufenbetreuung. Sie erklärt, welche Stärken und Schwächen sich aus dem Fernunterricht ergeben und wie sich dieser auf die Bildungschancen auswirkt.

Was verstehen Sie unter Bildungsgerechtigkeit?

Unter Bildungsgerechtigkeit verstehe ich, dass grundsätzlich jedes Kind unabhängig von seinem sozialen Umfeld den gleichen Zugang zu Bildung haben muss. Auch die Kinder aus finanzschwachen Familien müssen die gleichen Chancen bekommen.

Wie hat sich die Bildungsgerechtigkeit im Laufe der letzten Jahre in Ihren Augen entwickelt?

In meinen Augen ist die Bildungsgerechtigkeit in den letzten Jahren besser geworden, beispielsweise durch Bildungsstipendien für talentierte Kinder, die zuvor nicht gefördert werden konnten. Außerdem haben wir ein sehr transparenteres Bildungssystem. Es gibt viele Möglichkeiten einen Schul- und Hochschulabschluss zu erreichen, auch über zweite oder dritte Bildungswege.

Inwieweit spielt die Schulbildung der Eltern für die Bildungschancen eine Rolle?

Die Bayerische Landesregierung versucht der Ungleichheit entgegenzuwirken. Dennoch spielt die Schulbildung der Eltern immer noch eine sehr große Rolle, wenn es um die Wahl der weiterführenden Schule des Kindes geht. Hier habe ich folgende Erfahrungen gemacht: Ich war ein Jahr nach meinem Studium in einer etwas ländlicheren Region tätig. Dort betonten die Eltern immer wieder, sie verstünden nicht, wieso ihr Kind auf das Gymnasium gehen soll, da sie selbst auch kein Abitur hätten. Sie hatten außerdem die Sorge, ihren Kindern bei Hausaufgaben oder Prüfungsvorbereitungen nicht zu helfen können beispielsweise beim Erlernen der zweiten oder dritten Fremdsprache.

Weshalb sind die Kinder dann auf das Gymnasium gegangen?

Die Grundschulen geben im Übertrittszeugnis ihre Empfehlung an, für welche weiterführende Schule das Kind geeignet ist.

In Großstätten beträgt die Abiturquote 42 Prozent gegenüber 28 Prozent in dünn besiedelten ländlichen Kreisen. Wie ist hier Ihre Erfahrung?

Im Landkreis München ist es genau umgekehrt. Viele und vor allem akademisch geprägte Eltern erwarten von ihren Kindern, dass sie mindestens das Abitur schreiben. Ich erlebe immer wieder bei Laufbahnberatungen, dass Eltern nicht wollen, dass ihr Kind das Gymnasium nach der 10. Klasse mit der Mittleren Reife verlässt, um eine Ausbildung zu machen. Dabei ist das sicherlich für einige Schülerinnen und Schüler sinnvoll und der bessere Weg.

Die Corona-Pandemie hat die Bildung schlagartig in eine digitale Umgebung verlegt. Wie empfinden Sie die Situation?

Ich glaube, dass es sehr stark davon abhängt, wie das Kollegium an der Schule zusammengesetzt ist. Bei uns am Gymnasium ist es so, dass die meisten von uns digitale Vorkenntnisse haben. Daher konnten wir sehr schnell auf Distanzunterricht umstellen. Natürlich spielt hier auch die Ausstattung der Schule eine große Rolle. Unsere Schule ist sehr jung und wir haben eine sehr gute digitale Ausstattung, sodass wir seit Eröffnung der Schule auch digital gearbeitet haben. Der Schritt, den wir dann zum Fernunterricht draufsetzen mussten, war daher klein. Die Corona-Pandemie dient hier als Katalysator, auch digitale Medien für den Unterricht zu nutzen.

Wie hat sich das Homeschooling im letzten Jahr entwickelt?

Ich hatte zuvor keine Notwendigkeit gesehen, mich mit meinen Schülern digital zu treffen. Jetzt mit dem Wechsel- und Distanzunterricht ist das natürlich anders. Ich denke, die Pandemie schiebt die Digitalisierung enorm an. Die Voraussetzungen sind allerdings von Schule zu Schule unterschiedlich. Wichtig ist, dass die Lehrerin oder der Lehrer sich vorab Gedanken macht, welches Medium er an welchem Tag nutzt, um Wissen zu vermitteln. Im Präsenzunterricht haben wir ganz andere Möglichkeiten als im Distanzunterricht.

Hat die digitale Bildung einen Einfluss auf die Bildungsgerechtigkeit?

Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben einen Zugang zu digitalen Endgeräten. Dadurch können sie sich nicht richtig am Unterricht beteiligen. Um den Fernunterricht zielführend umsetzen zu können, brauchen die Kinder definitiv einen Laptop, Computer oder ein Tablet. Ein Smartphone-Bildschirm ist hierfür zu klein, Tafelbilder lassen sich über so einen kleinen Bildschirm nicht erarbeiten. Oft ist die notwendige technische Ausstattung zu alt oder gar nicht vorhanden. Einige Kinder könnten dadurch abgehängt werden. Es muss unbedingt eine Lösung her, sodass Endgeräte von den Schülerinnen und Schülern an den Schulen ausgeliehen werden können. Dadurch wird der Zugang zum Distanzunterricht unabhängig von der finanziellen Situation im Elternhaus möglich.

Die Bayerische Landesregierung hat ein umfangreiches Investitionspaket für digitale Bildung gegeben, damit Schulen ihre IT-Infrastruktur verbessern konnten. Wie wirkt sich das auf die Schule aus?

Was oft vergessen wird: An den Schulen kommt dann aber auch die Wartung und Pflege der Ausstattung hinzu. Aktuell gibt es kein Personal, um die Endgeräte instand zu halten. Das ist das Manko, da muss unbedingt umgedacht werden. Leihgeräte für Schülerinnen und Schüler sind das eine. Wir brauchen Personal, das die Leihgeräte und die Ausstattung der Schulen instand hält. Das ist die Basis für die Bildungsgerechtigkeit in der digitalen Lehre.

Gibt es pädagogische Ansätze, Kinder auch durch den Distanzunterricht individuell zu betreuen und zu fördern?

Je jünger das Kind, desto schwieriger ist die individuelle Betreuung, da die Jüngeren das Medium Computer anders wahrnehmen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist geringer und die Art des Unterrichts beansprucht die Kinder mehr. Ich merke immer wieder, dass die Schülerinnen und Schüler nach einigen Schulstunden vorm Computer aufgekratzt und kaputt sind. Ich biete meinen Lernenden daher einen Zusatzunterricht an, in dem ich die Stunden in dreimal 20 Minuten aufteile und kleinere Klassen bilde. So kann ich individuell auf jedes Kind eingehen. Hier können die Schülerinnen und Schüler dann Fragen stellen oder auch ihre Probleme loswerden. Einen richtigen pädagogischen Ansatz gibt es für den Distanzunterricht bislang nicht. Ich gebe daher dem Präsenzunterricht weiterhin den Vortritt.

Was würden Sie sich von der Bayerischen Landesregierung in Bezug auf die Bildungsgerechtigkeit der digitalen Lehre wünschen?

Am meisten wünsche ich mir, dass für die Systembetreuung, Instandhaltung, Wartung und Pflege der Endgeräte adäquate Stellen geschaffen werden. Wir Lehrkräfte sind hierfür nicht ausgebildet und haben auch keine Kapazitäten dafür. Da bringt den Schulen das ganze Geld nichts, wenn die Gerätschaften nach ein bis zwei Jahren ausfallen und sie niemand reparieren kann. Das Wissen, wie ich mit der technischen Ausstattung umgehen muss, kann ich mir sehr schnell selbst aneignen. Hierfür gibt es viele Möglichkeiten. Das bringt mir aber alles nichts, wenn die Endgeräte irgendwann nicht mehr funktionieren. Ich wünsche mir, dass in die richtige Richtung investiert wird. Nicht nur in die technische Ausstattung, sondern eben auch in das Personal.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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Quellen:

Analyse – Sind Schulkinder auf dem Land abgehängt? – Das Deutsche Schulportal (deutsches-schulportal.de)