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Der Klassiker bei Vorstellungsgesprächen und der Liebling des Personalleiters: „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“ Keine Frage birgt mehr Tücken als diese und doch gehört sie zum Vorstellungsgespräch wie das Amen in der Kirche. Es würde interessanter ablaufen, wenn statt der fünf Jahre einfach andere Zeitangaben verwendet werden. Wo sehen Sie sich in zehn, dreißig oder sogar fünfzig Jahren? Gott, würde das Spaß machen, denn manche haben sich diese Fragen noch nie selbst gestellt. Einsamkeit und Alleinsein will auf jeden Fall keiner, so viel steht fest. Doch diese Gedanken sind weit hergeholt und erst in der Zukunft relevant. Oder vielleicht doch nicht?

Zwanzig und einsam

Es gibt Menschen, die beschäftigen sich regelmäßig mit ihren Zukunftsplänen. Ach, was heißt regelmäßig? Manche beschäftigen sich damit ein Leben lang. Frisch Ausgelernte Anfang zwanzig träumen nur so von der Zukunft: „In dreißig Jahren wohne ich mit meiner eigenen Familie in einem großen Haus am See.“ Während sich der dreißigjährige Student schon mit einem gut bezahlten Vollzeitjob zufrieden gäbe.

Doch keiner redet über die Zeit nach der Rente. Endlich, nach jahrelanger Arbeit all das erreicht zu haben, was immer gefehlt hat: Zeit, Geld und natürlich unendlich große Weisheit. Die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden werden dabei von vielen vernachlässigt.

Mit steigendem Alter kommen aber auch die Wehwehchen und neben den Wehwehchen kommt auch die Einsamkeit. Die über 60-Jährigen waren bis vor kurzem die Einsamsten aller Generationen, wundert ja keinen. Doch die neuen Chartstürmer sind die bis 30-Jährigen. Im Nu haben sie den ersten Platz belegt, als wäre es ein Wettbewerb. Die Millennials sind die Einsamsten von allen. Mehr als die Hälfte davon klagt über Einsamkeit. Und jetzt überlegen Sie mal, wie wird das nur in deren Sechzigern sein?

Online und flüchtig

Und wir wissen doch alle, was angeblich dagegen hilft: Facebook, Instagram, Twitter oder Whatsapp. Laut den Werbekampagnen ein absolutes Muss für Menschen, die sich vernetzen wollen. Mit dem Smartphone in der Hand, steht einem plötzlich die ganze Welt offen. Immer und überall – 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Doch ist es nicht so, dass solche Netzwerke das exakte Gegenteil bewirken? Statt Wohlfühlmomente und Glückseligkeit gibt es Einsamkeit auf Knopfdruck.

Viele flüchten sich in die ach so perfekte Welt in den sozialen Netzwerken, dass ihnen letztendlich die Realität fremd vorkommt. Nicht selten legen sich solche Nutzer online ein Alter Ego an. Mit diesem vermitteln Sie anderen Nutzern allerdings ein falsches Bild von sich. Die einen jetten Tag ein Tag aus um die Welt, manche sind im Dauerurlaub in der wunderschönen Karibik und andere wiederum verbringen jede freie Minute mit ihren ach so tollen Freunden. Würde meine Realität so aussehen, würde ich mich nicht in die sozialen Netzwerke flüchten.

Die verfremdete Darstellung der Realität beeinflusst das Wohlbefinden der Nutzer. Es ist ein menschliches Bedürfnis tiefergehende Beziehungen zu haben. Doch diese entstehen – oh Wunder – nicht durch ein einfaches „Gefällt mir“ oder „Like“ beim bloßen Durchscrollen.

Beobachten und beobachtet werden

Die Idee von sozialen Medien, jeden jederzeit zu erreichen, ist toll, ja wirklich. In der Praxis dienen soziale Medien aber auch oft als Ausrede: Ich kann ja jeden immer erreichen, also mache ich es einfach später. Perfekt, um das einst regelmäßige Telefonieren auf ein Beobachten und beobachtet werden zu reduzieren. Ich meine, wer nimmt sich denn die Zeit für einen persönlichen Anruf, wenn es auch ein paar auf den Touchscreen getippte Wörter tun? Hätten wir nicht alles zuvor schon online gepostet, hätten wir immerhin etwas zu berichten.

Das neue Wehwehchen der zukünftigen 60-Jährigen wird dann die „Fear of missing out“: Die Angst, etwas Relevantes zu verpassen, sei es ein Event, Erlebnisse oder soziale Interaktion. Und es gibt sogar eine Gegenbewegung. Aktiv wird versucht, Menschen zu Auszeiten – einer „Joy of missing out“ – zu bewegen. Doch diese Wehwehchen gibt es ja jetzt schon und sie sind da wie nie zuvor. Leiden sie vielleicht schon an einem dieser Wehwehchen? Wie wird das dann nur in zehn, dreißig oder fünfzig Jahren sein?

 

Sind wir süchtig nach unseren Smartphones? Ja, das sind wir! Fulya Ugur hat dazu 2019 einen Beitrag verfasst.