Ausgerechnet Harley Davidson stellt ein Elektromotorrad vor, die LiveWire. Kann dieses Motorrad den Anforderungen der Kunden gerecht werden? Um diese Frage zu beantworten, testet Dario Marchetti, selbst begeisterter Motorradfahrer, die Maschine. Getestet wurde die LiveWire in den Kategorien: Design, Fahrkomfort, Reichweite und Akkuleistung sowie Sound und Preis-Leistungs-Verhältnis. Dabei stellte sich heraus, dass das Motorrad einige Schwächen mit sich bringt.
Futuristisches Design trifft sportliches Fahrwerk
Die LiveWire ist kein typisches Harley Davidson Modell – sie ist schnittig, sportlich gebaut und vor allem leise. Die Verkleidung und das hochgezogene Heck bieten einen neuen Stil. Die Farbzusammenstellung spiegelt die Farben des Unternehmens wieder und sorgt so für einen Wiedererkennungswert bei der neuartigen Maschine. Die LiveWire ist derzeit ab 32.165 Euro und in drei Farbrichtungen erhältlich.
Ein sportliches Fahrwerk und moderne Assistenzsysteme helfen, die 105 PS starke Maschine auch auf nassem Fahrboden unter Kontrolle zu halten. Zum Antrieb setzt der Hersteller auf den „Revelation“ genannten Elektromotor, der eine Spitzenleistung von 106 und eine Dauerleistung von 82 Pferdestärken leistet. Von 0 auf 100 schafft es die Harley in drei Sekunden, die maximale Geschwindigkeit liegt bei 180 Stundenkilometer.
Die LiveWire ist mit einigen Features ausgestattet: Traktionskontrolle, Antischlupfregelung und Kurven-Antriebsschlupfregelung. Insgesamt gibt es sieben Fahrmodi: Sport, Straße, Regen, Eco und drei individuell einstellbare Modi.
Schmerzen statt Fahrkomfort
Auch wenn das Design der LiveWire auf den ersten Blick stimmig scheint, zeigen sich im Punkt Fahrkomfort einige Nachteile. Einer dieser Nachteile sind die Spiegel. Sie sind eng positioniert, sodass der Fahrer mehr vom eigenen Oberkörper sieht, als von der Straße. Um das Geschehen hinter sich beobachten zu können, müssen die Arme weit nach hinten gestreckt werden. Die Sitzposition ist sehr aufrecht, da die Kniewinkel wie bei einem sportlichen Motorrad angewinkelt sind. Der Sitz ist hart und einschneidend.
Schnell steht fest, dass das Motorrad nur für kurze Strecken geeignet ist. Der Testfahrer brauchte bereits nach 60 Minuten eine Pause, um seine Knie auszustrecken und den Rücken zu entlasten. Hier fehlt der altbekannte Komfort von Harley Davidson. Zudem fehlt der Platz für Gepäck und einen Beifahrer. Die LiveWire tendiert sehr ins Sportliche und lässt das Image eines komfortablen Choppers hinter sich.
Akkuleistung und Reichweite lassen zu wünschen übrig
Harley gibt eine Reichweite von 150 bis 170 Kilometern an. Die Gesamtleistung liegt bei 235 Kilometern Reichweite. Auf der Autobahn entspricht ein Kilometer Reichweite auf dem Display etwa 500 Metern Fahrstrecke. Hier sollte also nach 110 Kilometern eine Ladestation in der Nähe sein. Um das Motorrad schnell laden zu können, wird ein Typ-2-Combostecker mit DC-Gleichstrom benötigt.
Doch in unserem Test stellte sich raus, dass das Aufladen sowohl mit diesem Stecker, als auch mit der CCS-Schnellladefunktion schlecht funktioniert. Das interne Ladegerät gibt maximal 1,4 Kilowatt her. Bis der 15,5 Kilowattstunden-Akku vollgeladen ist, vergehen im Durchschnitt zwölf Stunden. Das im Lieferumfang enthaltene Ladegerät passt nur in normale Schuko-Steckdosen, die es an öffentlichen Säulen zum Großteil nicht gibt – deshalb quittierten die Ladestationen den Versuch, die Maschine zu laden mit Ladefehlern. Laut Hersteller handelt es sich hierbei um eine sogenannte Kinderkrankheit. Wer mit der LiveWire Touren fahren möchte, muss genügend Ladepausen einplanen.
Smart unterwegs
Harley Davidson möchte mit der LiveWire neue, jüngere Kunden ansprechen. Das zeigt sich auch deutlich in der Wahl der smarten Technologien, die das Motorrad mit sich bringt. Die LiveWire ist durch das LTE-Modul voll vernetzt. Per App lassen sich Stauinformationen, Standort oder Ladevorgang des Motorrads überwachen. Für die ältere Generation ein No-Go. Sie setzen auf Fahrkomfort und einen traditionellen Tacho.
Ein Highlight ist das smarte 4,3 Zoll-Display. Durch den Touchscreen können Fahrer das Display sogar mit Handschuhen bedienen. Das hat sich im Test als praktisch erwiesen. Die Dienste sind nach dem Kauf für ein Jahr kostenlos, danach fallen dafür Gebühren an.
So klingt doch keine Harley !
Im Vergleich zu anderen Harleys ist der Sound kaum wahrnehmbar. Außer dem Antriebsriemen ist nichts zu hören und eine Kupplung gibt es auch nicht. Aufgrund des elektrischen Motors ist das bekannte Blubbern der Harley nun ein leises Surren des Antriebsriemens. Durch das fehlende Auspuffgeräusch lässt sich leicht vergessen, dass das Motorrad läuft. Harley Davidson setzt bei der LiveWire auf einen künstlichen Herzschlag. Dieser ist in Form von leichten Vibrationen beim Start und beim Stand der Maschine an einer Ampel zu spüren.
Schont die Umwelt aber nicht den Geldbeutel
Die Probefahrt mit der LiveWire war eine neue Erfahrung. Es zeigt sich dennoch, dass das Motorrad einige Schwachstellen aufweist. Während Harley bei Design und Fahrerlebnis alles richtig gemacht hat, enttarnt sich das Stromtanken als größte Schwäche. Sitzposition und Reichweite können auch nicht mit den Vorgaben von Harley mithalten. Trotzdem ist die Probefahrt eine Erfahrung wert. Angesichts der Vorsätze von Harley Davidson, mit einem umweltfreundlichen Motorrad die CO2-Bilanz zu verbessern, kann ich dennoch keine Kaufempfehlung aussprechen. Mit 33.000 Euro ist der Preis für die LiveWire, die vor allem Fahranfänger ansprechen soll, sehr hoch gegriffen. Im Hause Harley toppen diesen Preis nur die kostspieligen CVO-Modelle, die nach den heutigen Normen zweckdienlicher sind – Stichwort Reichweite, Komfort und Stauraum.