Lesedauer: 7 Minuten

Armin Grunwald ist Präsidiumsmitglied bei der acatech, Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und Professor für Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie. Techtalkers-Redakteurin Juliana Diener hat mit ihm über den Menschen im Spiegel der Technik, der Ethik im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und die Zukunft der Technik gesprochen.

 

Diener: Herr Professor Grunwald, was genau ist „Technikfolgen-Abschätzung“?

Grunwald: Technikfolgen-Abschätzung gibt es seit ungefähr 50 Jahren. Die Hintergrunderfahrung ist, dass der technische Fortschritt zwar toll ist und uns viele neue Dinge ermöglicht. Es gibt allerdings auch nicht intendierte Folgen, die man lieber früher gekannt hätte: Der Klimawandel und das Ozonloch sind uns schließlich allen bekannt. Solche Effekte gibt es aber auch im kulturellen und sozialen Bereich immer wieder. Wenn man darüber früher Bescheid gewusst hätte, hätte man besser damit umgehen können. Deshalb ist unsere Aufgabe, Folgen in aller Breite zu untersuchen, bevor es sie gibt. Es geht darum, möglichst gut in die Zukunft hineinzugehen.

 

Gibt es in Ihren Augen eine aktuelle technische Entwicklung, auf die wir in 30 Jahren zurückblicken und fragen werden: Warum haben wir das zugelassen?

Wir haben uns in eine totale Abhängigkeit von der Technik begeben. Die ganze Gesellschaft funktioniert nur, wenn immer alle Abläufe funktionieren. Wenn es einen größeren Strom- oder Internetausfall über eine längere Zeit gäbe, dann würde die Gesellschaft zusammenbrechen. Und es gibt keinen Plan B. Diese Abhängigkeit macht mir Sorgen. Ich kann mir vorstellen, dass wir in einiger Zeit denken werden: „Hätte man nur damals einen Plan B entwickelt.“ Wir können nicht davon ausgehen, dass die nächsten 30 Jahre alles so bleiben wird, wie es vor der Pandemie war.

 

Kann der Einzelne etwas gegen diese Abhängigkeit tun?

Im Kleinen kann man sich einen Vorrat anlegen, statt wie gewohnt nach Bedarf zu kaufen. Wir rechnen damit, dass alles, was wir wollen, immer im Supermarkt verfügbar ist. Es muss nur einen Stromausfall geben, sodass die Kühlsysteme und die Logistikketten nicht mehr funktionieren. Nach ein paar Tagen wären die Supermärkte leer. Das sind alles noch kleine und harmlose Dinge. Im Großen kann man nur Meinungsbildung betreiben und sich dafür einsetzen, dass beispielsweise Notstromaggregate verfügbar sind. Hier kann man auf der politischen Ebene kommunal und höher aktiv werden. Viele Menschen müssen am gleichen Strick ziehen, damit etwas passiert!

 

Sie warnen zum einen davor, den Menschen zu technisieren, und zum anderen, die Technik zu vermenschlichen. Wieso?

Menschen sind Menschen. Und bisher war Technik auch Technik. Dass man Technik vermenschlicht, ist irgendwo normal. Haustiere behandelt man schließlich auch als Freunde und Gefährten, denn sie sind es irgendwo auch. Aber niemand würde auf die Idee kommen, dem Hund einen Personalausweis zu geben und an der Bundestagswahl teilnehmen zu lassen. Bei Robotern gibt es diese Diskussionen schon: Wenn sich ein Roboter ein Bein bricht, ist es dann Sachbeschädigung oder Körperverletzung? Das sind Fragen, die man sich bei Robotern in anderer Weise stellt als bei klassischer Technik oder bei Tieren.

 

Ist es denkbar, dass Roboter irgendwann ein eigenes Bewusstsein bekommen?

Durch Science-Fiction sind wir darauf gedrillt, dass das kommt. Doch das muss nicht sein. Es gibt Informatiker, die sagen, dass das kommt. Andere sagen, dass es nicht möglich ist. Das wissen wir nicht. Ich glaube, das Problem mit Robotern, die ein eigenes Bewusstsein erlangen, wird überschätzt.

 

Wie müssten wir ethisch gesehen damit umgehen, wenn künstliche Intelligenzen ein eigenes Bewusstsein entwickelten?

Dann hätte man eine neue Spezies auf dieser Welt – Man wüsste noch nicht, warum sie etwas tut und wie sie sich verhält. Menschen würden diese neue Spezies deshalb erstmal erforschen. Ob man dieser neuen Spezies gleich Rechte gibt, ist eine andere Frage. Erstmal ist das neue Wesen.

 

Sie betonen immer wieder, der Mensch sei unergründlich. Wird Technik auch irgendwann unergründlich sein?

Die Technik ist für die meisten Menschen unverständlich. Das ist vielleicht sowas ähnliches wie unergründlich. KI-Algorithmen, die sich selbst verändern, indem sie Muster erkennen, haben eine unglaubliche Komplexität erreicht. Informatiker können das nicht mehr nachvollziehen. Es ist mehr eine Intransparenz, wie eine Black Box, in die man nicht mehr hineinschauen kann. Wenn man bei der Analogie bleiben will, sind Menschen auch eine Black Box. Damit kommt man allerdings wieder zur Technisierung des Menschen, wenn man das so auf eine Ebene stellt. Wie man damit bei Menschen umgeht wissen wir – anders als bei den Algorithmen!

 

Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Professor Grunwald!

 

Mehr zum Thema gibt es hier zu lesen:

Pflege braucht mehr Menschlichkeit – Roboter helfen dabei

Lektüretipps für die Semesterferien im Sommer 2021

Künstliche Intelligenzen – ein faustischer Deal?

Turing-Test: Intelligenz-Vergleich zwischen Mensch und Computer

Publikationen von Professor Armin Grunwald:

Professor Armin Grunwald

Die acatech