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Sie ist Neurowissenschaftlerin, Designerin und Gründerin von Sci-Illustrate. Ferdinand Niedenführ spricht für TechTalkers mit Radhika Patnala über ihre Karriere und ihre Agentur Sci-Illustrate. Das ist eine Kreativagentur, die auf die verschiedenen Designbedürfnisse des Gesundheitssektors eingeht und dadurch Kunst und Wissenschaft vereint.

Sie haben Biotechnologie studiert und haben einen Doktortitel in Neurowissenschaften. Hat Sie ein Vorbild in der Wissenschaft zum Studieren inspiriert?

Zu der Zeit, als ich mich für ein Studienfach entscheiden musste, wurden in der Gentechnik viele Entdeckungen veröffentlicht. Beispielsweise wurde erstmals das menschliche Genom sequenziert. Diese Einblicke in die Komplexität des Lebens fand ich sehr spannend und faszinierend. Vor allem wie man dieses Wissen nutzen kann, um spezifische praktische Probleme zu lösen. Bevor ich anfing zu studieren hatte ich keine richtigen Vorbilder in der Wissenschaft. Der Forschungsbereich war zu diesem Zeitpunkt ziemlich neu und das war für mich Inspiration genug.

2017 haben Sie die Kreativagentur Sci-Illustrate gegründet. Woher kommt Ihre Leidenschaft für die Kunst?

Meine Mutter war Innenarchitektin und hat in meiner Kindheit sehr viel gemalt. Ich bin also in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Kunst mein täglicher Begleiter war. Schon damals habe ich mit Softwares wie AutoCAD und Home Architect gespielt. Das hat mein Interesse für Design geweckt und ich habe meine Leidenschaft für das Schaffen neuer Dinge entdeckt. Nach meiner Doktorarbeit wollte ich meine Liebe zur Wissenschaft mit meiner Liebe zur Kunst verbinden. Und so gründete ich Sci-Illustrate.

Sehen Sie sich in Ihrer Arbeit bei Sci-Illustrate mehr als Künstlerin oder mehr als Neurowissenschaftlerin?

Bei Sci-Illustrate benutze ich beide Fähigkeiten. Meine Arbeit kombiniert Kunst und Wissenschaft. Als Wissenschaftskommunikatoren müssen wir uns mit den wissenschaftlichen Fakten auskennen, um die Kunstwerke detailgetreu und fachlich korrekt aussehen zu lassen. Allerdings sind die Größenverhältnisse der Elemente oft so unterschiedlich, dass man sie nicht maßstabsgetreu abbilden kann. In solchen Fällen muss man abwägen, wie realistisch oder abstrahiert man einzelne Elemente abbildet. Viele Dinge in der Natur sind auch in molekularer Größenordnung wunderschön und faszinierend anzusehen.

Viele Menschen können sich unter dem Begriff “Wissenschaftskommunikator” nicht besonders viel vorstellen. Können Sie uns einen Einblick in Ihr Arbeitsleben geben?

Als Wissenschaftskommunikator versucht man komplexe Ideen und Konzepte bestimmten Zielgruppen einfacher verständlich zu machen. Zu Beginn eines Projekts erstellen wir eine Skizze, mit Hauptaugenmerk auf die wissenschaftliche Richtigkeit der Darstellung. Hierbei müssen wir den Fokus auf die wichtigsten Elemente lenken und Einzelheiten, die nicht im Vordergrund stehen, eliminieren. Dazu müssen wir oft Referenzen aus der Primärliteratur heraussuchen. Manchmal ist die Form eines Moleküls bekannt, oftmals aber so komplex, dass sie von der Hauptintention der Grafik ablenken würde. Hier müssen wir uns sehr eng mit den Wissenschaftlern absprechen, um keine Details falsch oder irreführend darzustellen. Nachdem wir die die Skizze fertiggestellt haben und unser Kunde zufrieden ist, erstellen wir die Illustration im finalen Stil.

Wissenschaftskommunikation: Covid Dreams vereint Kunst und Wissenschaft

Illustration aus dem Projekt Covid Dreams für die UNESCO Creative Resilience Ausstellung 2021 von Dr. Radhika Patnala

Aus welchen Bereichen kommen Ihre Kunden?

Unserer Kunden sind hauptsächlich Biotechnologie- und Gesundheitspflegeunternehmen. Wir helfen ihnen dabei, ihre wissenschaftlichen Ausarbeitungen zu visualisieren.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein neues Projekt beginnen?

Zuerst setzen wir uns mit dem Kunden zusammen, besprechen das Projekt und welche Erwartungen erfüllt werden sollen. Dieser erste Termin ist einer der wichtigsten Schritte des Projekts. Läuft er gut, ist der Rest des Projekts relativ einfach. Beispielsweise möchte ein Kunde eine Illustration eines komplexen Stoffwechselwegs. Darin sind unterschiedlich große Moleküle, Zellen und Organe enthalten. Das bis dato gedankliche Modell im Kopf des Wissenschaftlers, soll als 2D-Grafik in einer Fachzeitschrift erscheinen. Als Inspiration nutze ich oft die Daten und Bilder aus der Forschung des Kunden, wie zum Beispiel Mikroskopiebilder. Nachdem wir eine Skizze erstellt haben und diese mit dem Kunden besprochen haben, gestalten wir die Grafik. Anschließend wird der Auftrag mit Hilfe von zwei bis drei Feedbackrunden detaillierter ausgearbeitet, bis unser Kunde zufrieden ist.

Was war Ihr liebstes Projekt bei der Verbindung von Kunst und Wissenschaft?

Mein liebstes Projekt war die UNESCO Creative Resilience Ausstellung 2021, bei der ich Co-Kuratorin war. Das Thema der Ausstellung war „Frauen in der Wissenschaft“. Dafür stellten 50 Künstlerinnen, die zugleich Wissenschaftlerinnen sind, insgesamt mehr als 100 ihrer Kunstwerke aus. Es war ein langwieriges und schwieriges Projekt, aber ich bin mehr als zufrieden mit dem Ergebnis. Die Ausstellung kann man sich nach wie vor im Internet ansehen. Ein weiteres tolles Projekt war, als ich den Auftrag erhalten habe, das Titelbild für einen Beitrag im UCSF-Magazine zu gestalten. Das biomedizinische Magazin der University of California in San Francisco erscheint zweimal jährlich. Das Projekt fand während der Coronapandemie statt. Ich sollte in einem Kunstwerk den Anstieg an Autoimmunkrankheiten während der Pandemie deutlich machen. Auch dieses Projekt hat mir viel Spaß gemacht.

Hat die Pandemie die Arbeit in Ihrem Unternehmen dennoch beeinflusst?

Ehrlich gesagt nicht. Unsere Arbeit lief wie gewohnt weiter, da unsere Mitarbeiter hauptsächlich remote arbeiten. Auch unsere Meetings mit Kunden halten wir generell online.

Bei Ihrem Lieblingsprojekt haben Sie sich für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft eingesetzt. Was hat Sie dazu motiviert?

Meiner Erfahrung nach sind Frauen in der Wissenschaft definitiv unterrepräsentiert. Ein Grund dafür ist, dass vor allem Frauen ab einem gewissen Alter entscheiden müssen – Karriere oder die Gründung einer Familie. Das führt dazu, dass sie ihre Forschung reduzieren oder gar einstellen müssen. Die Wissenschaft an sich ist allerdings ein extrem kompetitives Arbeitsfeld. Beruflich kommt man nur weiter, wenn man konstant hochqualitative Forschungsergebnisse liefert. Tritt man zurück wird man schnell von anderen überholt und hat schlussendlich wenig Zukunftschancen. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die geringe Präsenz von Frauen in der Wissenschaft. Durch Projekte wie die UNESCO Creative Resilience Ausstellung möchte ich mehr Aufmerksamkeit auf diese Probleme lenken.

 

Ich danke Dr. Patnala herzlich für das nette und sehr interessante Interview. Für die Zukunft wünsche ich ihr und ihrem Unternehmen alles Gute.

 

Weitere Informationen über Dr. Patnala:

Dr. Radhika Patnala, Direktorin von Sci-illustrate, leitet Teams zur Lösung von Design- und Kommunikationsproblemen für die Biotech- und Pharmabranche und ist dabei bestrebt, die Grenze zwischen Wissenschaft, Kunst und Design zu überbrücken.
Radhika, die an der National University of Singapore in Neurowissenschaften und Epigenetik promoviert hat, gründete Sci-illustrate im Jahr 2017 mit dem Ziel, inspirierendes Bildmaterial zu erstellen und zu nutzen, das die effektive Wissenschaftskommunikation in der Biotech-Forschung, im Gesundheitswesen und in der Pharmaindustrie und darüber hinaus verbessern kann.
Sie arbeitete als Individual Specialist bei der UNESCO und war Mitkuratorin der Creative Resilience Initiative. Über ihre Arbeit an der COVID-Kommunikation wurde in der BBC berichtet, und sie war Hauptrednerin auf der globalen Konferenz der Weltgesundheitsorganisation über die Kommunikation von Wissenschaft in gesundheitlichen Notfällen. 

 

Quellen:

Eigene Aufnahmen des Interviews

 

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